Heute ist Tag 31, ein Montag genau einen Monat nachdem wir in unser Habitat eingezogen sind. Montage beginnen mit einem Fragebogen. Wir haben eine, nein zwei Hände voll Fragebögen pro Tag, aber der Montagmorgenfragebogen ist etwas Besonderes: Es geht um unsere Einschätzung der Beziehungen der Crewmitglieder untereinander und mit Mission Support. Die Auswahlmöglichkeiten umfassen Adjektive wie antagonistisch, neutral, kollegial, persönlich und sexuell.

Die vollständige Crew, kurz nach dem Ende einer EVA. Mit freundlicher Genehmigung durch Sheyna Gifford.
Meine Antworten haben sich in den letzten Wochen nicht sehr verändert. Innerhalb der Crew habe ich meist persönlich und/oder kollegial angekreuzt, mit Mission Support ist es ein wenig häufiger kollegial. Das ist nicht weiter verwunderlich, da wir die meisten der Freiwilligen, die unser Leben hier erleichtern, ja überhaupt erst ermöglichen, nicht persönlich kennen. Aber wir arbeiten daran, diese Leute besser kennen zu lernen, um besser mit ihnen zusammen arbeiten zu können.
Was haben wir sonst so im vergangenen Monat gemacht? Wir haben die ersten drei Star Wars Filme geschaut. Wir haben mit unserem unzuverlässigen Netzwerk gerungen. Wir haben eine beeindruckende Liste an ausgefallenen Computerproblemen gelöst. Davon abgesehen haben wir uns gegenseitig im Schlaf gestört und von der Arbeit abgehalten. Zwei von uns haben den Rest mit Morse-Übungen genervt, ein anderer hat den immer gleichen Song auf der Gitarre gespielt. Wir standen Schlange vor dem Laufband, wenn die Sonne schien. Gelegentlich waren die Gerichte der gefriergetrockneten Küche zwar essbar, aber nicht genießbar – besonders dann, wenn ich Küchendienst hatte.
Wenn ich mir die Liste so anschaue, muss ich ehrlich gesagt selbst staunen. Wir hatten genügend Gelegenheiten, aufeinander sauer zu sein. Und ja, wir hatten auch einige Meinungsverschiedenheiten – mir fallen auf Anhieb vier Vorfälle ein, nach denen ich den betreffenden Crewmitgliedern einige Stunden lang aus dem Weg gegangen bin. Aber: es waren vier, verteilt auf einen ganzen Monat. In der ganzen Zeit habe ich keinen einzigen Streit erlebt, bei dem jemand laut geworden wäre. Das Habitat ist hellhörig, eine laute Auseinandersetzung hätte ich also auch nicht verpassen können.
Dabei haben alle von uns Eigenschaften oder Angewohnheiten, die den anderen manchmal tierisch auf den Nerv gehen: Andrzej nimmt alles wörtlich und protokolliert irrelevante Details seiner EVAs übergenau, Shey dagegen nimmt es mit Details oftmals nicht genau genug. Tristan trägt oft Kopfhörer und es ist schwer, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Carmel kann selbst bei Filmabenden die Finger nicht von ihrem Computer lassen, und Cyprien wiederum verstreut seine Sachen überall und sammelt Tassen und Gläser auf seinem Arbeitstisch. Sein bisheriger Rekord liegt bei fünf Trinkgefäßen. Ich selbst schlafe gern bis fünf Minuten vor Beginn unserer geplanten Morgenaktivitäten.
Aber wir befinden uns alle in derselben Situation. Wir müssen alle mit fünf relativ unbekannten Individuen auskommen. Wir haben alle mal Tage, an denen scheinbar nichts klappt, an denen wir unsere Daheimgebliebenen vermissen, oder an denen wir einfach nur schlecht geschlafen haben. Nicht immer kennen wir den wahren Grund, aber wir wissen, dass auch wir selbst schon Verstimmungen verursacht haben und gehen recht schnell wieder aufeinander zu.
Um ehrlich zu sein, bleibt uns auch nicht viel anderes übrig: Wir sind aufeinander angewiesen. Ich habe zum Beispiel nur eine vage Vorstellung davon, wie unser Netzwerk funktioniert, weiß dafür aber genau, wo welches Werkzeug zu finden ist. Ich brauche Carmel und Shey als zuverlässige Keksquelle, und gleichzeitig braucht mich Carmel als Kontakt zu den Wissenschaftlern, deren Versuchskaninchen wir sind.
Jeder hat sein eigenes Gebiet im Habitat, auf dem er oder sie nicht nur Ansprechpartner, sondern regelrecht Experte ist. Jeder ist notwendiges Mitglied in dieser Crew. Das schafft Respekt. Ich denke, das ist es, was jede funktionierende zwischenmenschliche Beziehung ausmacht: gegenseitiger Respekt.
Dazu kommt unser starker Wille, die Mission an erste Stelle zu setzen. Wenn zwei Crewmitglieder auf einem Segelschiff mitten auf dem Ozean in Streit geraten, bleibt ihnen nicht anderes übrig, als ihren Streit bei nächster Gelegenheit friedlich beizulegen und das Schiff weiter sicher über das Wasser zu steuern. Wir sind in einer ähnlichen Situation: Wir wollen nicht, und darum können wir nicht einfach aussteigen, sobald etwas nicht nach unserem Willen läuft. Um an Bord zu bleiben, müssen wir uns ganz rational auf die Mission konzentrieren und Probleme frühzeitig ansprechen, damit sie gar nicht erst in Streit ausarten – auch wenn wir uns am liebsten in unseren Schlafraum verkrümeln würden.
Zugegeben, nach einem Monat stehen wir noch relativ am Anfang unseres Aufenthalts hier. Alles ist neu, alles ist aufregend. Wir sind noch motiviert und guter Dinge. Wir hatten zwar einen turbulenten Einstieg, aber das Schwierigste steht uns noch bevor: Elf weitere Monate miteinander, in denen wir nicht mehr den Vorteil des Anfangsoptimismus haben. Dieser Rückblick auf unseren ersten Monat ist daher auch als Referenz zu betrachten: Mal schauen, wie viel von unserem persönlich-kollegialen Umgang im Laufe der Mission noch übrig bleibt.
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Dieser Post ist Teil unseres Teamrückblicks. Wer die Gedanken der anderen fünf Crewmitglieder (auf englisch) nachlesen möchte, findet deren Posts hier:
Carmel Johnston (Commander)* (noch nicht veröffentlicht)
Sheyna Gifford – This Alien Shore: 1 Month on sMars
Der Beitrag Der erste Monat erschien zuerst auf Leben auf dem Mars.